Kein Ostdeutsch oder Das Desinteresse am Osten

"Die neuen Bundesländer: in den Medien meist ein Kramladen voller altbekannter Klischees: Arbeitslose, Neonazis und ein paar skurrile Erinnerungen an alte Zeiten. Wirtschaftliche Erfolgsmeldungen und Berichte über kulturelle Ereignisse erreichen den Westen oft erst gar nicht. Denn: das Desinteresse von Westzeitungen und -fernsehen an Ostdeutschland ist groß.
Die neuen Bundesländer- Ein Kramladen voller: netter Erinnerungen, voller Arbeitsloser, und vor allem voller Neonazis. So jedenfalls berichten viele westdeutsche Zeitungen über Ostdeutschland.

Giovanni Di Lorenzo, Chefredakteur Der Tagesspiegel: "Es entsteht ein Bild, wo der Osten oder die neuen Bundesländer Synonym werden für Probleme. Und nicht auch Synonyme sind für Landstriche, die wir noch nicht kennen und die wir entdecken können und wo wir auch erfreuliche Dinge aufstöbern können."

Die erfreulichen Themen , es gibt sie. Aber sie bleiben im Osten stecken, erreichen den Westen erst gar nicht: Erfolge in der Automobilbranche, neue Jobs beim Chiphersteller AMD,kulturelle Ereignisse wie das Bachfest in Leipzig,für das Westfernsehen und die Westzeitungen selten ein Thema.

Hans-Ulrich Jörges, Stern-Redaktion Berlin: "Man muss immer sehen - und ich schließe mich ausdrücklich ein - die Blätter werden von überwiegend westdeutschen Journalisten gemacht. Es gibt ja wenig ostdeutsche Journalisten, die in westdeutschen Redaktionen sitzen, aber umgekehrt mehr westdeutsche Journalisten, die in ostdeutschen Medien sitzen. Also da fehlen die Stimmen in den Redaktionen, die sagen, nehmt das Thema ernst."

Stattdessen werden wichtige Themen einfach ignoriert - mit zum Teil fatalen Folgen. Beispiel das NPD-Verbot. Schilys Plan scheiterte im vergangenen Jahr, als sich herausstellte, dass NPD-VorstandsMitglieder vom Verfassungsschutz bezahlte Spitzel waren. Die Thüringer Allgemeine Hatte über einen solchen Fall schon 2001 berichtet. Der Innenminister des Landes kommt in Erklärungsnot konnte man in der Zeitung lesen. Und: Der Verfassungsschutz bezahlt rechte Führungskräfte.

Sergej Lochthofen, Chefredakteur Thüringer Allgemeine: "Man hat es ignoriert, die großen Journale aus Hamburg haben das nicht groß aufgegriffen, das Fernsehen hat es vielleicht auch ignoriert. Dem örtlichen Fernsehen war es peinlich, dass der Innenminister so schlecht dagestanden hat. Die Summe, die Melange dieser ganzen Dinge führte dazu, dass wir letztlich diese Panne erlebt haben mit dem Nachteil, dass die NPD heute nach wie vor Aufmärsche veranstaltet."

Dass Ost-Themen in den westdeutschen Medien nur selten eine Chance haben, hat einen einfachen Grund: der Hauptabsatzmarkt zum Beispiel von Spiegel und Stern liegt im Westen.

Hans-Ulrich Jörges, Stern-Redaktion Berlin: "Es ist nicht einfach von hier aus mit ostdeutschen Themen in die westdeutsche Redaktion reinzukommen und dort Gehör zu finden und Raum im Blatt zu finden. Das ist manchmal schwierig."

Liane von Billerbeck, Die Zeit: "Dann kommt wieder das Ding: "Also das will ich nicht lesen". Das bekomm ich ja bei mir auch zu hören. Man sucht dann eher den schrägen Ansatz, den absurden Ansatz oder den skandalbehafteten Ansatz. Und damit kann man natürlich eher Vorurteile bedienen, als aufklärerisch tätig zu werden."

Die Spiegel-Geschichte zum Aufbau Ost: gut recherchiert, aber dennoch teilweise polemisch und einseitig aufbereitet. Was hängen blieb: Der Osten verpulvert unser Geld!

Georg Ruhrmann, Medienwissenschaftler: "Was ich zur Zeit fest stelle ist, dass mit unprofessioneller wirtschafts-politischer Berichterstattung Vorurteile geschürt werden. Mit dem Thema Wirtschaft. Ich find das ziemlich bedenklich."

Wenn West-Journalisten etwas über den Osten bringen, dann häufig die Geschichten, die die Einseitigkeit noch verstärken: Sie finden die "feudalsten Fabriken, die ödesten Dörfer, die feinsten Straßen und die zornigsten Bürger". Kein Lesestoff für den Osten.

Georg Ruhrmann, Medienwissenschaftler: "Wir haben deutlich weniger Themen, die in Ostdeutschland spielen, in den westdeutschen Medien. Dadurch werden die westdeutschen Medien, teilweise auch von Politikern weniger gelesen, weil ja nichts drin steht. Und weil sie dann weniger gelesen werden, werden sie weniger verkauft. Und wo nichts verkauft wird, wird auch nicht berichtet."

Giovanni Di Lorenzo, Chefredakteur Der Tagesspiegel: "Es wird in vielen Teilen einfach ein Teufelskreis bleiben. Und man wird die Berichterstattung aus dem Osten Medien überlassen, die vielleicht nicht den höchsten Anspruch haben."

Quelle: http://www3.ndr.de/ndrtv_pages_std/0,3147,OID861922,00.html