"Кто в лес, кто по дрова."

Dienstag, 29. April 2008

"Die meisten Eltern sind inkonsequent"

oder Welttanztag oder "Grüner Tag" in Japan

"Sind unsere Kinder schlecht erzogen? Können sie sich wirklich nicht benehmen? Was machen Eltern und Lehrer falsch? Wir sprachen mit Prof. Dr. Urs Fuhrer, Ordinarius für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Berliner Illustrierte Zeitung: Warum tun sich die Deutschen so schwer mit der Erziehung?

Prof. Urs Fuhrer: Das ist nicht nur ein Problem der Deutschen. Den übrigen westlichen Industrienationen geht es nicht anders. Wir leben in unsicheren Zeiten. Vielen Kindern und Jugendlichen fehlt eine Perspektive. Dazu kommt der Autoritätsverlust von Elternhaus, Kirche und Schule. Alles ist in Frage gestellt. Eltern sind schnell überfordert.

War das denn früher leichter?

Ja, früher gab es einen gesellschaftlichen Konsens. Da zogen alle an einem Strang. Alle wollten das Gleiche. Da kamen eben die Kinder zum festgesetzten Zeitpunkt nach Hause. Oder sie gaben zur Begrüßung die Hand. Das war eben so. Da gab es kaum Abweichungen zwischen den einzelnen Familien. Das ist heute anders. Es gibt kaum noch gesellschaftliche Regeln, die von einer Mehrheit akzeptiert werden. Das macht es heute so schwer.

Wo liegt denn die größte Schwierigkeit?

Die Krux bei der Erziehung ist, Freiheit aber auch Grenzen zu vermitteln. Und diese Grenzen müssen konsequent kontrolliert werden. Die meisten Eltern sind dazu nicht in der Lage. Sie sind inkonsequent, gehen mal zu hart, dann wieder zu weich mit ihren Kindern um. Diese Wankel-Pädagogik führt zu Verunsicherungen und falschen Weichenstellungen. Ein Teufelskreis, aus dem weder Eltern noch Kinder herauskommen.

Wohin müsste Erziehung zielen?

Eltern müssen ihre Kinder in die Lage versetzen, Probleme selber zu lösen. Ermutigung, emotionale Wärme und Zuneigung helfen dabei. Je nach Alter müssen auch entsprechende Freiräume gewährt werden. Klare Regeln gehören dazu. Gut ist es, wenn Eltern mit ihren Kindern gemeinsam eine Hausordnung erarbeiten, an die sich dann selbstverständlich auch die Erwachsenen halten müssen. Auch in Schulen müsste noch mehr getan werden. Im Unterricht sollte auch Benehmen und soziales Verhalten eingeübt werden. Da fehlt es aber leider an der Kooperation zwischen Schule und Elternhaus.

Sind unsere Kinder wirklich so schlimm, wie manche behaupten?

Nein. Das ist wie bei jeder neuen Generation. Die Alten halten die Jungen immer für rücksichtslos, unhöflich und verantwortungslos. Das ist immer so gewesen. Kinder sind heute in der Regel sehr sozial eingestellt. Sie sind rücksichtsvoll und freundlich. Sie gehen unverkrampft mit Sexualität um, was manchen Erwachsenen verunsichert. Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele, Fälle von Verwahrlosung. Kinder, die sehr große Auffälligkeiten zeigen. Das ist allerdings nicht schichtenspezifisch. Das gibt es bei Kindern, die in Armut aufwachsen, ebenso wie bei Kindern aus Wohlstandsfamilien.

Wie wird die nächste Generation aussehen?

Es ist damit zu rechnen, dass sie anpassungsfähiger sein wird. Das hat schon allein mit den Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt zu tun. Auch Umgangsformen könnten wieder eine größere Rolle spielen. Aber wie sich das entwickeln wird, ist heute schwer zu sagen. Vielleicht schlägt das auch um. Und wir werden es mit einer Protest-Generation zu tun bekommen.

Können Schuluniformen einen Beitrag zu besseren Umgangsformen leisten?

Das kann ich nicht beurteilen. Aber dass Mädchen heute ein bisschen Bauch zeigen, ist doch im Vergleich mit dem Mini-Rock vor dreißig Jahren ganz harmlos. Schuluniformen könnten aber aus anderen Gründen hilfreich sein. Sie könnten soziale Schranken und Diskriminierung mildern.

Müssen sich Eltern ändern, damit Kinder besser erzogen werden?

Ja. Ich glaube, das kann nur dadurch erreicht werden, dass schon die werdenden Eltern sich in Kursen auf ihre Aufgaben vorbereiten. Wer ein Auto fahren will, der braucht einen Führerschein. Wer Kinder erziehen will, sollte sich auch darauf vorbereiten. Eltern müssen stark sein, um Kinder zu Selbstbewusstsein zu erziehen. Sie müssen Partner sein und in der Freizeit aktiv mit ihren Kindern zusammenleben. Fernsehen mit der ganzen Familie reicht da nicht aus. Die Qualität des gemeinsam erlebten ist entscheidend und nicht die miteinander verbrachte Zeit. Aber Kindern müssen dennoch Möglichkeiten zum Rückzug gegeben werden. Sie brauchen auch mal Zeit für sich allein."

Das Gespräch führte Holger Lippke

Quelle: Berliner Morgenpost vom 7. September 2003

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